Mit einer Stellungnahme zur Novelle zum Thüringer Gesetz zur Gleichstellung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen (ThürGiG) bringt sich bith e. V. in das laufende Gesetzgebungsverfahren ein. Die Stellungnahme wurde von Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam erarbeitet. Dies ist für uns besonders wichtig, da sich bith e. V. stets dafür einsetzt, dass nur mit den Betroffenen gemeinsam Entscheidungen getroffen werden sollten und nicht über deren Köpfe hinweg.
Die Stellungnahme wurde am 14.08.2018 an das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie gesendet. Text der Stellungnahme:
Stellungnahme von Barrierefrei in Thüringen e. V. (bith e. V.) zum Entwurf des Thüringer Gesetzes zur Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG)
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir bedanken uns für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum o. g. Gesetzentwurf. Als Verein „Barrierefrei in Thüringen“ (bith e. V.) tun wir dies aus unseren Erfahrungen und Kenntnissen insbesondere zum Schwerpunkt Barrierefreiheit.
Vorbemerkungen für eine barrierefreie Vorbereitung von Anhörungen
Partizipation von Menschen mit Behinderungen ist natürlich bei dem Gesetzgebungs-prozess für ein novelliertes ThürGIG von ganz besonderer Bedeutung. Insoweit sind schon im Gesetzgebungsprozess die nötigen Voraussetzungen für eine echte Beteiligung zu schaffen. Dazu zählt z. B. ganz praktisch, dass der Gesetzentwurf einschließlich der Anschreiben immer auch barrierefrei versandt wird (als doc- oder pdf-Datei), was leider – trotz wiederholter Hinweise - nicht der Fall war.
Dazu zählt ferner, dass die Fristen für die Abgabe der Stellungnahmen die ehren-amtlichen Strukturen der Vereine und Verbände von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen. Die Fristsetzung von knapp 2 Wochen steht im krassen Widerspruch zum Partizipationsgedanken und den Forderungen nach gleichberechtigter Beteiligung. Siehe dazu auch unsere Anmerkungen zu § 9.
zu § 2 Geltungsbereich
Hier müssen auch private Anbieter/Unternehmer /Einrichtungen beachten, dass die für die Öffentlichkeit zugänglichen und nutzbaren Bereiche barrierefrei gestaltet werden.
zu § 6 Abs. 4 Umsetzung von Inklusion und Gleichstellung
Die „kann“-Formulierung wird dem Ziel, materielle und ideelle Barrieren abzubauen und allen Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, nicht gerecht: Die Bindung von Fördermitteln an die Barrierefreiheit ist für die Herstellung der materiellen Barrierefreiheit entscheidend.
zu § 9 Grundsätzliche Aufgaben
Mit Blick auf die o. g. Anmerkungen fordern wir eine eindeutig klarstellende Ergänzung in § 9, dass schon während der Erarbeitungsphase in Gesetzgebungs- und ähnlichen Verfahren die vollständige Barrierefreiheit und Partizipation (angemessene Fristen) für Menschen mit Behinderung gewährleistet sein müssen.
zu § 10 Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr
Neubauten sowie Um- oder Erweiterungsbauten sollen nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften barrierefrei gestaltet werden, soweit keine unangemessene wirt-schaftliche Belastung vorliegt. – Was bedeutet „unangemessene“? Dies ist keine ein-deutige Begrifflichkeit und lässt zu viele Ausnahmen zu. Hier sollte eine klare Definition im Interesse der Barrierefreiheit gewählt werden.
Alle Träger öffentlicher Gewalt erstellen Berichte über den Stand der Barrierefreiheit der von ihnen genutzten Gebäude, soweit diese im Landeseigentum stehen, bis zum 30. Juni 2022. Wer, welche Personen mit fachlichen Kenntnissen über barrierefreies Bauen übernehmen die Erfassung? Wie wird dies kontrolliert? Auch sollten dem Landtag sowie dem Behindertenbeirat die Ergebnisse der Erfassung der Maßnahmen und deren Änderungen vorgelegt werden.
zu § 10 Abs. 4
Zur Ergänzung „soweit die Anmietung keine unangemessene wirtschaftliche Belastung zur Folge hätte oder die Anmietung lediglich kurzzeitig beziehungsweise konkret bedarfsorientiert ohne bauliche Barrierefreiheit erfolgen soll“ ist anzumerken, dass gerade das Land eine besondere Verpflichtung und Vorbildfunktion hinsichtlich der Umsetzung der UN-BRK hat. Daher wäre die Anmietung nicht barrierefreier Objekte aufgrund günstigerer Mieten im Vergleich zu barrierefreien Objekten ein fatales Signal an die Landkreise und Kommunen, da hier über die Mietkosten die Verpflichtung zur Barrierefreiheit vom Land bewusst und systematisch umgangen werden kann. Daher sollte dieser Abschnitt gestrichen werden.
Aufbau einer Thüringer Fachstelle für Barrierefreiheit: Zur Durchsetzung der im Gesetz vorgesehenen Regelungen zur Barrierefreiheit halten wir den Aufbau einer Thüringer Fachstelle für Barrierefreiheit für erforderlich, weil die vielfältigen, aus dem Gesetz resultierenden Aufgaben eine zusätzliche, kompetente Struktur auf Landesebene benötigen. Das Aufgabenfeld und die Struktur der Fachstelle kann sich dabei an der Bundesfachstelle (§ 13 Behindertengleichstellungsgesetz) orientieren. Davon abweichend schlagen wir eine Ansiedlung bei der/dem Landesbeauftragten vor. Die Fachstelle sollte in fachlichen Angelegenheiten zur Umsetzung der Barrierefreiheit informierend, beratend und auch kontrollierend dem Beauftragten für Menschen mit Behinderungen zur Seite stehen. Sie wäre außerdem Ansprechpartnerin für Ministerien, Einrichtungen/Behörden/Institutionen und insbesondere auch für die kommunalen Behindertenbeauftragten. Die Fachstelle sollte weiterhin ein Netzwerk mit Beteiligung der Zivilgesellschaft aufbauen. Neben Menschen mit Behinderungen (Experten in eigener Sache) sollten dabei auch weitere Ansprechpartner, z. B. Senioren, Verbände, in das Netzwerk einbezogen werden. Das Netzwerk sollte sich mehreren Kernbereichen der Barrierefreiheit widmen:
- bauliche Fachberatung
- Fachberatung Kommunikation/Information
- Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung im Umgang mit Menschen mit Behinderungen/Beeinträchtigungen
- Beratung zur Teilhabe Dafür muss aber auch eine angemessene Ausstattung mit Personal, Sachmitteln und einem Budget zur Verfügung stehen. Im Landeshaushalt sind die erforderlichen Mittel vorzusehen.
Anmerkung zu dem ehemaligen – nun gestrichenen - § 16 Barrierefreies Internet
Auch wenn § 16 gestrichen wurde bekräftigen wir hier unsere grundsätzliche Einschätzung:
Eine Erweiterung/Ergänzung bei der Forderung nach Barrierefreiheit ist unbedingt zu beachten, bedingt durch die rasant fortschreitende Digitalisierung in allen Lebensbereichen:
- Eine gleichberechtigte und wirksame Teilhabe von behinderten Menschen durch die Erreichbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit digitaler Angebote einschließ-lich von privaten Anbietern muss ohne Begrenzungen gewährt werden.
- Der Freistaat Thüringen und die Kommunen müssen die Vorgaben der europa-rechtlichen Regelungen zur Barrierefreiheit von Webseiten und mobilen Anwen-dungen öffentlicher Stellen vollständig umsetzen.
- Die bestehenden Barrieren beim Zugang, bei der Nutzung und der Begreifbarkeit bei der digitalen Kommunikation mit Behörden sind zu beseitigen, bspw. unzugängliche Formulare, fehlende Möglichkeit zur Ableistung einer digitalen Signatur oder einer sicheren Authentifizierung.
Erläuterung:
Die Schaffung von Barrierefreiheit bezieht sich auf alle Bereiche, die von der Digitali-sierung betroffen sind, wie bspw. Gesundheit, Bildung, Arbeitsleben, Verwaltung, Handel, Personenverkehr, digitale Haushaltsgeräte, Film und Fernsehen, Bücher oder Zeitschriften. Dies bezieht auch die Inhalte (Dokumente, Webseiten, Info-Terminals) und Software (klassische Programme, mobile Apps) ein.
Die Privatwirtschaft sollte auch in die Pflicht genommen werden. Dabei wäre ein erster Schritt, Maßnahmen zu ergreifen, die alle Erbringer von Bildungs-, Sozial- und Gesund-heitsdienstleistungen – vom Arzt über Therapeuten bis hin zu Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen oder Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigung/Behinder-ung – zur Barrierefreiheit ihrer digitalen Angebote zu verpflichten. Dabei kann/muss immer eine ganzheitliche Betrachtung für eine barrierefreie Umwelt angesetzt werden.
§ 17 Wahl des/der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen
Die Wahl der/des Behindertenbeauftragten sollte wie bspw. im Freistaat Bayern transparent und partizipativ durch die stimmberechtigten Mitglieder des Landesbehin-dertenbeirates nach § 23 Absatz 2 erfolgen, der dann dem Landtag einen abgestimm-ten Wahlvorschlag unterbreitet.
zu § 25 Abs. 1
Der Satzteil „sowie für Entscheidungen der Bauaufsichtsbehörde im Vollzug der Thüringer Bauordnung (ThürBO).“ sollte gestrichen werden, da so der Bauaufsichtsbehörde de facto das alleinige Recht eingeräumt wird, darüber zu entscheiden, ob Mängel in der Ausführung der Barrierefreiheit eine Diskriminierung bzw. ob gegen die Verpflichtung des Landes zur Herstellung der Barrierefreiheit verstoßen wurde oder nicht.
[Ende der Stellungnahme]